Wenn Geschichte zum Handeln auffordert

Die drei Agenten der Operation Greenup: Franz Weber, Hans Wijnberg und Fred Mayer. Die drei Agenten der Operation Greenup: Franz Weber, Hans Wijnberg und Fred Mayer. © via Wikimedia Commons

Das Rechercheprojekt Codename Brooklyn feierte am 28. Februar Premiere. Zum 80-jährigen Jubiläum des Absprungs dreier Agenten über dem Sulztaler Ferner widmet sich diese Theaterproduktion dem Thema Widerstand.

Drei Männer springen in der Nacht über dem Sulztaler Ferner mit Fallschirmen ab. Sie sind schwer bepackt: ein S-Telefon, eine Funkausrüstung, Karten der Brennerpassbrücke, Geld, Skier, Handfeuerwaffen und Munition. Die Männer werden beschrieben als: «Fred, der Teamleiter, ist 23 Jahre, ein rühriger, robuster, einfallsreicher Deutsch-Amerikaner […]. Hans, der Funker, ist amerikanisierter Holländer, Alter 23 […]. Frank Winston ist gebürtiger Innsbrucker, 25 Jahre alt […]. Er hatte in der deutschen Wehrmacht den Rang eines Reserveleutnants […]. Seine Kontaktpersonen sind  Verwandte und langjährige Freunde.»

Der wirkliche Name von Frank Winston lautet Franz Weber. Er ist aus der Wehrmacht desertiert und in Italien zu den Amerikanern übergelaufen. Die drei Männer sind im Auftrag des OSS (Office of Strategic Services), einem Vorgänger der CIA, nach Österreich gekommen und damit betraut, Informationen über den Eisenbahnverkehr am Brennerpass abzufangen und Erkundigungen über eine scheinbare «Alpenfestung» des NS-Regimes einzuholen.

Der Absprung der drei Männer ist der Beginn einer waghalsigen Agentengeschichte. Sie werden sich von nun an aufteilen: Hans, der Funker, wird auf einem Bauernhof auf dem Dachboden sitzen und dort seine Funkstation aufbauen. Fred Mayer wird durch Franz Weber Kontakte erhalten, die ihn mit Informationen versorgen. Durch die Hilfe der Schwestern Webers erhält Fred eine Wehrmachtsuniform und kann sich mit falschen Papieren frei in Innsbruck bewegen.

Er hält konspirative Treffen mit anderen Widerständler:innen ab – unter anderem in der Anichstraße 19 – und kommt so an wertvolle Informationen. Jedoch wird die Gruppe kurz vor der Befreiung verraten …

Die Operation zählt bis heute zu den erfolgreichsten Missionen der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg. So wurden mehr als 60 Funksendungen ausgetauscht. Wesentlich beteiligt waren dabei Frauen, die es dem Team ermöglichten, Kontakte herzustellen, Informationen zu schmuggeln und ihre Wohnungen sowie Verstecke zu organisieren.

Die Geschichte und ihr weiterer Verlauf wirken bis in die Gegenwart. Sie inspirierte nicht zuletzt den 2009 erschienenen Film Inglourious Basterds von Quentin Tarantino. 

Stimmen der Sichtweisen, Ulrike Lasta, Stefan Riedl, Daniela Bjelobradić © Birgit Gufler

80 Jahre später

Zum Jubiläum des spektakulären Absprungs widmet sich das Rechercheprojekt Codename Brooklyn einem der mutigsten Kapitel des Widerstands gegen das NS-Regime in Tirol. Doch die Geschichte ist hierzulande kaum bekannt. Warum? Wie wird die NS-Geschichte Österreichs heute erzählt und erinnert? Welche Lehren ziehen wir daraus?

Das Projekt stellt gleichzeitig ein Thema in den Mittelpunkt, das derzeit besonders an Brisanz gewinnt: Was bedeutet Widerstand heute? Welche Wut braucht es, für die eigene Überzeugung und Werte einzustehen? Welchen Mut braucht es, damit wir handeln? Codename Brooklyn verwebt Vergangenheit und Gegenwart miteinander und fordert das Publikum auf, eigene Handlungsspielräume zu hinterfragen. Es zeigt, dass Widerstand nicht nur ein historisches Phänomen ist, sondern eine Haltung, die uns alle heute mehr denn je betrifft.

TEXT Sonja Honold