Orlando | Ein Gesamtkunstwerk

24.4.2025 / blog / Orlando
Bettina Bruinier © Emanuel Kaser Bettina Bruinier

Orlando ist ein Gesamtkunstwerk. Das Buch von Virgina Woolf aus dem Jahr 1928 ist (fiktive) Biografie, Sience Fiction, Abenteurerroman, Gesellschaftsportät und Liebesgeschichte in einem. Über mehrere Jahrunderte zieht sich die Erzählung um den jungen Adligen Orlando, der zum Ende des Elisabethanischen Zeitalters zu Ruhm und Würden am Hof gelangt, später sein Leben als Frau und leidenschaftliche Schriftstellerin weiterführt und Zeitzeugin mehrerer Epochen wird. Der Wechsel von Orlandos geschlechtlicher Identität folgt nach einem mehrtätigen Schlaf, unspektakulär, mit einer hinreissenden Selbstverständlichkeit. Regisseurin und Co-Direktorin Schauspiel Bettina Bruinier bringt den Roman als Theaterstück auf die Bühne der Kammerspiele.

Bettina, worin liegt für dich der Reiz den Roman «Orlando» als Schauspiel für die Bühne zu adaptieren?

Bettina Bruinier Da gibt es verschiedene Aspekte. Erst einmal liegt uns hier ein unglaublich faszinierender Bilderbogen vor, der tief in die verschiedenen Epochen und die damit verbundenen Traditionen und Ästhetiken blicken lässt. Dazu kommt die blumige und facettenreiche Sprache, so musikalisch wie bildhaft. Für mich ist das eine Sprache, die gehört werden will, die von Menschen gesprochen werden sollte. Des Weiteren interessiert es mich, die Autorin selbst als Person auf die Bühne zu bringen, als zusätzliche Figur. Schließlich ist auch die Entstehungsgeschichte des Romans erzählenswert, denn im Grunde genommen schrieb Virginia Woolf den Roman für ihre Geliebte, Vita Sackville- West. Das Buch ist eine epochale Liebeserklärung, die uns durch verschiedene Welten und Zeitalter führt und die Geliebte auf die Position der Protagonistin / des Protagonisten Orlando setzt. Reichlich Stoff für die Bühne also.

Die Genderthematik erlebt gerade einen Riesenschwung in unserer Gesellschaft, mit allen Kontroversen, der Sensibilisierung, dem Kampf um Selbstbestimmung und gesellschaftliche Akzeptanz. Was denkst du, wie konnte Woolf das Thema so selbstverständlich und unaufgeregt behandeln – vor immerhin fast 100 Jahren?

Ich glaube, das hat viel mit den biografischen Aspekten zu tun. Ihre Verbindung mit Vita Sackville-West eröffnete der verheirateten Woolf eine neue Spielart ihrer Sexualität. Dazu kommt die Rolle als Autorin in einer Zeit, in der Schriftstellerei nahezu komplett männlich konnotiert war. Nur sehr wenige Autorinnen fanden damals in die Öffentlichkeit. Neben der Auseinandersetzung mit Rollenverständnissen ging es wohl auch einfach um die Lust am Experimentieren und darum, Möglichkeiten innerhalb der eigenen Persönlichkeit zu entdecken. Das Buch ist für uns gerade auch heute aufregend zu lesen, weil es wirklich so reflektiert ist und so klug die verschiedenen Blickwinkel auf die Geschlechter einnimmt.

Die Erzählung erstreckt sich über Jahrhunderte und zahlreiche Schauplätze. Wir begegnen Männern, die zu Frauen werden und Frauen, die zu Männern werden. Wie bringt man das optisch auf die Bühne?

Wir sind bei der Entwicklung von Bühne und Kostümen von einer Bibliothek der Erinnerung über viele Jahrhunderte ausgegangen – einem Sammelsurium aus Ausstellungsobjekten und Vitrinen. Dazu kommen Kostüme, die unterschiedliche Zeiten in Form von Versatzstücken abbilden. Wir möchten Welten und Bilder schaffen, die sich das Publikum anhand des kollektiven Gedächtnisses mit seinem Assoziationsvermögen abrufen und mit dem Geschehen auf der Bühne verbinden kann.

 

Die Fragen stellte Stefan Späti.