Die Parabel vom Volksfeind
Als Henrik Ibsen mit der Arbeit an Ein Volksfeind begann, beschrieb er es seinem Verleger als «ein friedliches Stück, das die Staatsräte und Großkaufleute mit ihren Damen ungefährdet lesen» könnten; ein Stück, vor dem auch die Theater nicht zurückschrecken müssten.
Es wurde tatsächlich eines seiner meistgespielten Werke. Wobei sich das kaum genau beziffern lässt – zum Einen werden Ibsens Dramen immer noch zahlreich gespielt, welches Stück also gerade die Nase vorn hat, bleibt schwer zu sagen; zum Anderen ist die Fachliteratur ausufernd und nicht immer übereinstimmend.
1890 (1893) Ein Volksfeind am Stadttheater Innsbruck
Gesichert ist: Im November 1882 erschien Ein Volksfeind im Buchhandel und wurde bereits im Jänner 1893 am Christiania Theater in Oslo uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung fand 1887 in Berlin statt und 1890 eroberte Ein Volksfeind auch einige Bühnen in Österreich – darunter auch das «Stadttheater Innsbruck», wie das Tiroler Landestheater damals hieß (1890 oder doch 1893, man findet beide Jahreszahlen).
Kurz zuvor war Ibsens Gespenster auf wenig Liebe in Skandinavien gestoßen, im Gegenteil! Man war empört über dieses skandalöse Familiendrama, das in Norwegen jahrelang unter Zensurverbot stand. Zutiefst darüber gekränkt, dass er für sein Anders-Denken derart abgestraft wurde, stellte er in Ein Volksfeind ausgerechnet einen Querdenker in den Mittelpunkt: Badearzt Dr. Thomas Stockmann entdeckt, dass das Wasser des Kurbades verseucht ist. Erst wird er von der liberalen Presse und der Bürgerschaft gefeiert, doch als der Bürgermeister darüber aufklärt, dass damit auch auf sie sehr hohe Kosten zukommen werden, wenden sich alle gegen Dr. Stockmann. Provoziert von dieser Gesellschaft stellt er sich nun radikal gegen sie, bricht mit demokratischen Vorstellungen, versteigt sich in wirre Ideen und wird zuletzt zum einsamen Antihelden.
Heinrich George, Vater von Götz George, spielte Dr. Stockmann in Steinhoffs Verfilmung 1937.
Ideologischer Missbrauch im Nationalsozialismus
Eine Führerfigur, die sich gegen die bestehenden Systeme stellt – das machte das Stück nicht zuletzt für die Nazis interessant. Um es allerdings propaganda-dienlich einsetzen zu können, mussten einige Änderungen vorgenommen werden – die satirischen Töne mussten dem Text genommen und der «Volksfeind» am Ende zum Helden verklärt werden. Derart umgestaltet wurde Ein Volksfeind 1937 auch verfilmt – hier Dr. Hans Stockmann, steht für einen fleißigen, deutschen Bürger, der Zeitungsverleger Aslaksen, im Film Dornbach, wird zu seinem jüdischen Gegenspieler. Auch hier wird das Ende verkehrt: Als der zuständige Minister von der Verseuchung des Bades erfährt, wird Hans Stockmann als Arzt rehabilitiert und zum Vermittler zwischen Kurbad und Ministerium.
Schaden nahm das Stück durch diese Verunglimpfung glücklicherweise nicht, es bleibt, was es immer wahr: eine Folie für gesellschaftlichen Diskurs, vor allem in Zeiten, die von radikalen politischen Ideen gezeichnet sind.