Alles flirrt!

   Blogbeitrag

Ein Gespräch mit Otto Pichler (Regie & Choreografie), Hansjörg Sofka (Musikalische Leitung), Jan Freese (Bühne) und Falk Bauer (Kostüme)

Otto, du kennst diese Operette schon sehr lange …

Otto Pichler Ich habe das Stück vor vielen, vielen Jahren schon einmal als Choreograf betreut. Als wir uns über eine Operette für Innsbruck unterhielten, habe ich diesen Titel genannt und mich gefreut, dass er auch auf der Liste der Operndirektion stand. Daraufhin habe ich gleich gesagt: «Dann soll es so sein!»

Frau Luna wird oft dem Genre der Berliner Operette zugeschrieben, bzw. spricht man davon, dass Paul Lincke, der Komponist, dieses Genre begründet habe. Wie unterscheiden sich die Wiener Operette und die Berliner Operette voneinander?

Hansjörg Sofka Wenn man von Wiener und Berliner Operette spricht, redet man in erster Linie über die Zeit der Hochblüte des Genres. Die war in Wien schon viel früher als in Berlin, nämlich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Wiener Operette ist daher noch sehr von Walzer, Quadrille, Polka usw. geprägt, den Tänzen die man in Wien zu dieser Zeit tanzte. Dazu kommen sehr häufig ethnische Einflüsse aus dem Bereich der k. u. k. Monarchie. Die Berliner Operette erlebte ihre Blütezeit erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach dem 1. Weltkrieg und ist geprägt durch Tänze und musikalische Stile aus dem amerikanischen Raum, nicht zuletzt den Jazz. Paul Linckes Frau Luna würde ich als bestes Beispiel des Übergangs vom Wiener zum Berliner Stil nennen. Die Musik in diesem Stück speist sich, wie bei Operetten üblich, aus der Tanzmusik der Entstehungszeit, in diesem Fall also der Zeit um 1900 wie Foxtrott, Walzer und (stilisierten) Märschen.

Otto Pichler Ich lasse mich immer komplett auf das ein, was man mir vorlegt, egal ob Wiener oder Berliner Operette, Musical oder große Oper. Vielleicht ist die Berliner Operette nicht ganz so walzerselig wie die Wiener Operette. Aber gerade bei Frau Luna gibt es doch noch einige schwelgerische Momente, wie z.B. die Arie der Marie Pusebach oder das Auftrittslied von Frau Luna.

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Unterscheidet sich eine Operettenproduktion von anderen Genres? Wie ist die Arbeit in den Proben?

Otto Pichler Man denkt oft, die Operette sei einfacher als z.B. die große Oper. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Es ist sehr schwer, eine gute Operette zu machen. Da heißt es zwar schnell: «Ach, das ist der Mann fürs Leichte.» Aber mach’s mal leicht! 

«Eine Operette muss flirren,
alles hängt vom Timing ab, vom richtigen Humor.
Das ist viel Arbeit.»

Otto Pichler, Regisseur und Choreograf

In diesem Fall habe ich die Textfassung nach dem Original von 1899 adaptiert und Passagen auch neu erfunden – z. T. zusammen mit der Wiener Autorin Susanne Felicitas Wolf. In den Proben muss man dann all die Witze und die Dramaturgie des Stückes austesten, jedes Wort, jede Geste muss sitzen.

Und auch sonst ist eine Operette für alle Beteiligten ein großer Aufwand: für Kostüm, Ausstattung, Technik und vor allem auch für die Darsteller, die nicht bloß schön singen, sondern von Gesang zu Text oder Tanz schnellstmöglich hin- und herwechseln müssen. Da hilft nur, alles immer und immer wieder zu wiederholen, bis es einem zu den Ohren rauskommt. Präzision ist alles – dann ist auch der Effekt nach außen gegeben.

Hansjörg Sofka Für mich ist der Zugang zu einer Operettenproduktion sehr ähnlich zur Arbeit am Musical. Dialog und Tanz prägen diese Stücke genauso stark wie die Musik. Dadurch gehen musikalische und szenische Momente immer sehr stark zusammen. Otto Pichler denkt extrem musikalisch und lässt alles geschickt ineinanderfließen. Ich mag das sehr!

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Jan Freese Das ist auch für das Bühnenbild sehr wichtig. Wir haben sehr viel Platz zum Tanzen, arbeiten daher eher mit wenigen, bewusst platzierten Objekten. Große Choreografie heißt für mich auf jeden Fall, dass es keine Schräge gibt, nichts Festes – sondern eine sehr mobile Bühne, die sich in tausend unterschiedlichen Konstellationen sehr schnell verwandeln kann – genauso wie die Menschen auf der Szene immer in Bewegung sind.

Hansjörg, du hast das Stück musikalisch bearbeitet: Was genau können wir uns darunter vorstellen?

Hansjörg Sofka Paul Linckes Frau Luna ist instrumentiert wie eine große Oper. Das Stück erinnert mich manchmal ein bisschen an Lortzing. Vom Klang her ist es für mich noch keine «typische» Berliner Operette. Frau Luna wurde später sehr oft bearbeitet. Das ging so weit, dass man dafür einen speziellen «Filmmusik-Sound» im Stile eines Peter Alexander-Films kreierte. Ich bin einen Mittelweg gegangen, habe den Klang verschlankt, dabei aber viele Linien des Originals beibehalten, wobei ich allerdings mit Klavier, Gitarre und Schlagzeug sowie mit spezifischen rhythmischen Akzenten das Werk ganz behutsam in Richtung der großen Blütezeit der Berliner Operette hin «verschoben» habe.

Die Operette spielt in Berlin – und auf dem Mond. Wie bringt man diese Welten zusammen?

Jan Freese Für uns war die Berliner Folklore weniger wichtig als der Mond. Man sieht also zu Beginn kein wilhelminisches Berlin mit Litfaßsäulen, Laternen oder Berliner Altbauten. Berlin ist für uns die Welt von Fritz Steppke. Der ist ganz davon eingenommen, eine Maschine zu bauen, die ihn ins All katapultiert. Mehr braucht man für den Anfang nicht. Für den Mond gab es dann viele Überlegungen. Wir haben uns letztlich ziemlich schnell auf das Rudiment eines – möglicherweise – Vergnügungsparks verständigt, der – möglicherweise – auch etwas von einem Weltraumschrottplatz hat. Das zitieren wir aber nur an.

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Im Grunde sind die Welten letztlich sehr nah beieinander, zwei Seiten einer Medaille. Denn für uns ist das Wichtigste immer, dass die Figuren gut zur
Geltung kommen und man als Publikum möglichst nah an den Menschen auf der Bühne und ihren Gefühlen dran ist. Am Ende wollen wir ja vor allem eine gute Geschichte erzählen und nicht unbedingt einen gigantischen Realismusaufwand betreiben.

Gab es für die Objekte auf der Bühne und für die Kostüme eine besondere Inspiration?

Jan Freese Es gibt in der Wüste von Nevada in der Nähe von Las Vegas einen Ort, wo alte Leuchtreklamen ausrangiert werden, den «Neon Cementary», also den «Leuchtreklame Friedhof». Das ist eine unglaubliche Landschaft, wo im Wüstensand die unterschiedlichsten Schriftzüge und Schilder herumstehen, von Imbissbuden-bis zu Casino-Werbung.

Falk Bauer Die wichtigsten Stichworte für die Mondkostüme waren sicherlich «Revueoperette», «Las Vegas», «Verrücktheit» und «so viel Glitzer, wie der Etat hergibt». Die Berliner Welt dagegen ist eine leicht überzeichnete Historisierung des späten 19. Jahrhunderts, die wir in Popart übersetzt haben, also ebenfalls nicht realistisch behandeln. Auch hier ist es uns sehr wichtig, dass die Figuren im Zentrum stehen – und sich in all den Choreografien auch gut bewegen können. Es sind Menschen – auch auf dem Mond – die man auch als solche erkennt.

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Warum will Fritz Steppke unbedingt zum Mond?

Otto Pichler Aus Abenteuerlust und weil er sich denkt: «Warum nicht?» Das ist ja nicht untypisch für die Menschen. Mittlerweile kann man sich anscheinend für einen riesigen Batzen Geld schon Grundstücke auf dem Mond kaufen. Für sieben Milliarden Euro glaube ich … Bei uns kommt Fritz Steppke allerdings definitiv nur im Traum auf dem Mond an. Das Stück lässt das ein wenig offen, aber wir haben uns für eine eindeutige Setzung entschieden.
Die Figuren sind also Traumgestalten – deswegen allerdings nicht weniger lebendig.

Da wir schon beim Träumen sind: Laut Freud wollen uns Träume ja etwas sagen. Wie ist es bei dieser Operette? Hat das Stück eine Botschaft? Und wenn ja, wie geht ihr damit um?

Falk Bauer Die etwas simple Botschaft des Stückes ist wohl:

«Zuhause ist es am schönsten.
Bleib also lieber daheim und lass alles so, wie es ist.
Das wollen wir nicht unbedingt bedienen,
es wäre auch zu einfach.»

Falk Bauer, Kostümbildner

Es passiert darüber hinaus ja so viel mehr. Auf dem Mond trifft Steppke eine um sich selbst kreisende, vergnügungssüchtige Partygesellschaft. So blicken wir aus dem späten 19. Jahrhundert in eine abgründige Zukunft – unsere heutige Zeit.

Jan Freese «Botschaft» klingt ohnehin immer sehr messianisch und, wie Falk schon gesagt hat, wäre es auch schade, das Stück mit seinen vielen Handlungssträngen und Figuren auf eine einzige Überschrift zu reduzieren – geschweige denn auf die Meinung des Regieteams, das einem am Ende irgendeine Moral von der Geschichte vorsetzt. Viel spannender ist es, sich die Menschen anzuschauen, um die es geht. Das Stück ist ja auch eine große Gesellschaftssatire, die u.a. die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, aber auch die Vergnügungssucht oder die Ausgrenzungstendenzen dieser Mondwelt z.T. wirklich bösartig aufs Korn nimmt. Am Ende ist Steppke heilfroh, wieder auf der Erde zu sein. Er wacht schweißüberströmt auf – und weiß seine Marie und sein Berlin jetzt erst wieder so richtig zu schätzen.

Otto Pichler Komischerweise ist es ja so, dass die alten Operetten durch den Wahnsinn in unserer heutigen Welt wieder sehr aktuell werden, insbesondere in der Textgebung. Ich denke da z.B. an das große Ensemble in Frau Luna «Ist die Welt auch noch so schön, einmal muss sie untergeh’n…» Das hört man heute mit neuen Ohren. Insofern finde ich es am Ende schon schön, wenn Steppke erkennt, dass er nirgendwo hinmuss. Manchmal übersieht man ja das, was einem am vertrautesten ist – und das ist schade. Da ist es gut, wieder daran erinnert zu werden, was man daran hat.

Die Fragen stellte Katharina Duda.


FRAU LUNA

Operette in zwei Akten von Paul Lincke

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